Das brennende Haus

„Klara, aufwachen!“, ruft eine Stimme aus dem Flur. Es ist schon wieder so weit. Früh am Morgen weckt Mama ihre beiden Kinder, damit sie nicht zu spät zu ihrer Arbeit kommt.

„Klara, nun steh doch bitte endlich auf!, ruft ihre Mama erneut.

Klara ist ein achtjähriges Mädchen, das mit ihrem sechsjährigen Bruder Hannes und ihren Eltern im beschaulichen Altenstadt in Hessen wohnt.

Als Klara die Augen langsam öffnet und dabei herzhaft gähnt, ist ihr noch nicht klar, wie besonders der Tag heute werden wird. Nach dem Frühstück zieht sie sich langsam, nach zweimaliger Aufforderung, an, und macht sich bereit, um gerade noch rechtzeitig zur Schule aufzubrechen.

„Klara, los!“, ruft ihre Mama, die sie anschließend mit einem Kuss auf die Wange verabschiedet.

Klara verschwindet in der Schule und erlebt einen sehr ereignislosen Tag. Sie ist froh, als nach der sechsten Stunde endlich der Gong ertönt, sodass sie nach Hause gehen kann.

Den Schulweg geht Klara immer zu Fuß. Sie hat es nicht weit bis zu ihrer Wohnung, die mitten in der Stadt liegt. Sie haben vier Zimmer, ein schönes Bad und vor allem einen grünen Garten, in dem Klara viel und gerne spielt. Ringsum wohnen viele Kinder, mit denen sich Klara oft verabredet.

Klara mag die Stadt und schlendert am Rückweg gemütlich über den Bürgersteig an einer kleinen Parkanlage vorbei, als sie einen verzweifelten Ruf hört.

„Hilfe, hört mich denn niemand! In der Ferne erkennt Klara, wie Rauch aus einem Haus kommt und sich Menschen unten am Bürgersteig versammeln. Einige von ihnen gestikulieren hektisch mit den Händen, andere telefonieren, und wieder andere drehen sich weg. Klara hat das Ausmaß verstanden – ein Haus ist in Brand geraten. Sie beobachtet die Szene aus einiger Entfernung, ohne wirklich zu wissen, wie sie helfen könnte. Von Weitem hört sie eine Sirene. Das ist bestimmt die Feuerwehr. Nach einer gefühlten Ewigkeit trifft diese ein, rollt ihre Schläuche aus und fährt eine Leiter bis zum obersten Stock aus, in dem eine Person auf ihre Rettung wartet. Erleichtert nimmt der Feuerwehrmann einen Mann durch das offene Fenster zu sich, der mit einem großen Schrecken, aber letztlich unverletzt, langsam über eine Leiter zu Boden transportiert wird.

Doch was niemand sieht: Oben ist auch noch ein kleiner HundKlara sieht ihn durchs offene Fenster. Der gerettete Mann scheint dies der Feuerwehr vor lauter Schreck noch nicht mitgeteilt zu haben, da er sich in aller Ruhe unten behandeln lässt. „Der arme Hund!“, denkt Klara und geht näher an das Haus und die Rettungskräfte heran. Verzweifelt versucht sie, eine Feuerwehrfrau auf die Situation aufmerksam zu machen, die jedoch gerade kein Ohr für Klara hat. Als die Feuerwehrfrau hektisch zum Feuerwehrauto geht, passiert etwas, mit dem Klara nicht im Ansatz gerechnet hat. Von unten nach oben durchstreicht sie ein komisches Gefühl. Sie spürt ein Kribbeln am ganzen Körper und schaut an sich herunter. Erst sieht sie ihre Beine nicht mehr, dann den Bauch, und schließlich kann sie auch ihre Arme nicht mehr sehen. Das Kribbeln verschwindet wieder. Klara ist unsichtbar! Völlig erschrocken fragt sie sich, was das wohl zu bedeuten hat. Ohne einen Gedanken zu verlieren, geht sie zu der Leiter, mit der der Feuerwehrmann eben noch den Mann gerettet hat. Die Leiter ist noch immer ausgefahrenund wenn Klara diese nutzt, um bis nach oben hochzusteigen, kann sie den Hund bestimmt retten. Sie spürt keine Angst, obwohl die Leiter wirklich hoch ist, klettert hoch und trifft auf den verängstigten kleinen Chihuahua in der dritten Etage. Dieser jault vor Angst, und die Flammen erreichen ihn schon fast, als Klara ihn beherzt greift und auf ihren Arm nimmt.

„Du musst keine Angst haben, ich rette dich!“, raunt sie ihm zu, und der Hund beruhigt sich. Ihre Berührung scheint ihn nicht erschrocken zu haben. Langsam, ganz langsam klettert Klara mit dem Chihuahua auf dem Arm nach unten, während sie sich zur Sicherheit links an der Leiter festhält. Bis etwa zur Mitte der Treppe fällt keinem der Passanten, die das Haus noch immer vom Bürgersteig aus beobachten, auf, dass ein Hund fast schon magisch die Treppe herunterschwebt. Erst nach einer Weile ruft jemand:„Schaut mal, da ist ein Hund! Sofort spürt Klara etliche Augen auf sich gerichtet, die sie jedoch nicht sehen können, da sie immer noch unsichtbar ist.

„Wie ist das möglich?“, ruft eine Passantin.

Mama, warum schwebt der Hund?, fragt ein Kind.

„Was ist in aller Herrgottsnamen!, ruft daraufhin ein Feuerwehrmann.

Niemand kann sich erklären, wie der Hund auf diese Weise sicher bis zum Boden gebracht wird. Er kommt unten an, leckt seine Pfoten und leckt dann als Dank auch einmal kräftig in die Luft. Zumindest sieht es für alle Beteiligten so aus. Doch Klara hat das Gefühl, dass der Hund sie sehr wohl sieht, und ist glücklich, dass er sich so liebevoll bedankt.

Geschafft, aber glücklich entfernt sie sich langsam vom Brand, den die Feuerwehr mehr und mehr in den Griff bekommt. Klara spürt erneut ein Kribbeln und wird wieder sichtbar. Erst sieht sie ihre Arme, dann ihren Bauch, und schließlich die Beine.

Zum Glück ist niemandem etwas passiert, denkt Klara. Und dann trifft sie die Erkenntnis wie der Schlag: Ich bin unsichtbar geworden! Wie konnte das denn passieren?

Klara hat Mühe zu verstehen, was genau gerade geschehen ist. Doch sie erinnert sich an einen Traum von vor vier Tagen. Klara hat geträumt, dass sie Superkräfte hat. Diese haben sich immer dann bemerkbar gemacht, wenn sie schwachen Personen helfen konnte, und um Unrecht zu verhindern. Und jetzt ist diese Fähigkeit wahr geworden.

„Wow“, flüstert Klara. Ich habe scheinbar wirklich Superkräfte. Das muss ich direkt Mama erzählen!

Zu Hause angekommen, erzählt sie Mama, dass sie heute einen Brand gesehen und heldenhaft geholfen hat. Ihre Mama freut sich, dass Klara so voller Freude ihre Geschichte erzählt, doch sie glaubt ihr kein Wort.

„Ach Klara, bin ich froh, dass dir nichts passiert ist!“, sagt sie und lächelt in sich hinein. Klara kennt dieses Lächeln. Es taucht immer auf Mamas Gesicht auf, wenn sie etwas nicht ernst nimmt.

Glaubst du mir etwa nicht, Mama?“, fragt sie.

„Ich glaube dir doch fast alles, meine Süße“, sagt Mama und lächelt wieder. „Machst du deine Hausaufgaben?“ Doch schon am nächsten Tag wird Mama das erste Mal stutzig werden, wenn sie die Online-Ausgabe der Zeitung lesen wird. Ein Superheld hätte sich nicht zu erkennen gegeben, wird dort stehen. Und dies ist nur der Anfang einer heldenhaften Reise.


Bild: ChatGPT Pro